islam.de: Herr Prof. Ramadan, wo leben Sie zurzeit, was machen Sie, was ist ihre derzeitige Arbeit?
Tariq Ramadan: Zurzeit bin ich in London und Gastprofessor an dem St. Antony's College in Oxford. Ich lehre Islamische Studien am European Study Centre und dem Middle East Centre. Ich arbeite im Hochschulbereich als Schreiber und Redner aber bin gleichzeitig verbunden mit der Basis, was wir einen activist scholar" nennen.
islam.de: Wie kommt es, dass Sie unter manchen muslimischen Jugendlichen eine Art Kultfigur sind?
Ramadan: Ich mag das überhaupt nicht. Meine Message ist den Leuten zu sagen, denkt nicht wie ich, aber lernt ohne mich zu denken" – was ein großer Unterschied ist. Es bedeutet selbstkritisch zu sein. Die besten Leute für mich sind diejenigen, die fähig sind zur kritisieren, zu fragen und aufzubauen. Es ist ein Problem innerhalb des religiösen Bereichs, dass wir alle einer Art Mode folgen. Modische Leute mögen die Art wie sie reden. Wenn ich über Spiritualität spreche, sagen die Leute es sei großartig. Dann denke ich nur, ich bin nicht das was ich sage, nicht was ich erkläre. Wenn ich so wäre, wie ich spreche, dann wäre ich unsichtbar, wäre ich ein Engel.
Darum sollte man niemanden idealisieren, man wird enttäuscht sein. Sei wer du bist, verstehe was die Leute sagen und bilde deine eigene Persönlichkeit, deinen eigenen Weg. Es gibt ein chinesisches Sprichwort das besagt: Wenn der weise Mann dir den Mond zeigt, sei nicht besessen von seinem Finger.
islam.de: Warum sind Sie in einigen Ländern fast eine persona non grata?
Ramadan: Nicht fast! Dies ist der Fall.
islam.de: ... Wir hörten von dem Ärger, als Sie die USA besuchen wollten...
Ramadan: Ich komme aus einem politischen Exil. Mein Vater, möge Gott sich seiner erbarmen, musste das Land verlassen wegen Nassers Unterdrückung, während der fünfziger Jahre. Ich entschied mich für etwas, was ich niemals aufgeben werde: Ich möchte die Stimme für die Stimmlosen sein. Die Stimmlosen sind die Menschen, die nicht sprechen können und unter politischer Unterdrückung leiden. Was auch immer das Risiko sei, was auch immer über mich in Europa gesagt wird, ich werde niemals aufhören über diese Regierungen zu sprechen, die ihre Bevölkerung unterdrücken.
Saudi Arabien ist ein Staat mit Sklaverei. Es ist nicht akzeptierbar und eine Schande, dass die Muslime hierbei ruhig bleiben und dem Westen vorwerfen die Palästinenser nicht zu unterstützen. Als ich das letzte Mal in Saudi-Arabien war – inzwischen darf ich nicht mehr – sah ich wie die Pakistaner behandelt wurden. Ich kam zurück und dachte, du magst dich nicht gut behandelt fühlen in diesem Land, aber es ist einfacher ein marokkanischer Muslim in Holland, als ein pakistanischer Muslim in Saudi Arabien zu sein.
Die Leute erwähnen ihre Heimatländer nicht. Ich habe sie erwähnt, also werde ich damit konfrontiert. Ich werde die Unterdrückung in Ägypten niemals vergessen. Ich durfte für 10 Monate nicht nach Frankreich einreisen – das war vor 10 Jahren – wegen dem Druck des damaligen ägyptischen Botschafters, der die französische Regierung bat, mich wegen der kritischen Zeit während der Wahlen in Ägypten. Nicht einreisen zu lassen. Ägypten hat keine demokratische Gesellschaft und ich verwies auf die Berichte von Amnesty International, die über die Folter in Ägypten berichteten.
Jetzt wissen wir, dass die CIA Charterflüge nutzt um die Leute nach Marokko, Saudi-Arabien, Ägypten, Syrien zu schicken, um die Leute den Behörden zu übergeben um sie zu foltern. Die Chartermaschinen der CIA nutzen Flughäfen demokratischer Staaten um Menschen in Folter zu übergeben. Dies ist nicht akzeptierbar.
Warum bin ich also umstritten? Deshalb, ich werde aber niemals darüber schweigen. Wer spricht darüber? Wer spricht über das, was in den Gefängnissen dort vorgeht? Darum kann ich nicht in diese Länder, weil ich zu kritisch bin.
Ähnlich ist es mit den Vereinigten Staaten. Ich besuchte die Staaten 30 mal in vier Jahren. Ich sollte Professor für Islamische Studien an der Notre Dame Universität werden. Es war ein dauerhafter Job und ich wollte dort bleiben. Neun Tage bevor ich in die Staaten ging wurde ich davon abgehalten. Es fing an mit Daniel Pipes, der mich auf eine Watchliste" der Universitätscampusse setzte. Wenn man kritisch mit der israelischen Politik umgeht und die Palästinenser unterstützt, gibt es ein so genanntes Campus Watch", welches die Professoren erwähnt, die zu unterstützend für Palästinenser wirken. Als ich gebeten wurde mich erneut zu bewerben fragte mich der amerikanische Botschafter, was meine Position zum Irakkrieg sei. Ich sagte, es war falsch, man hat einen Fehler gemacht und ich sei sehr kritisch in Bezug auf die Politik im Irak und der unilateralen Politik im Israelisch-Palästinensischen Konflikt. Es gefiel ihnen nicht. Aber dies ist meine Position. Ich meine, es ist ein legitimer Widerstand bei dem manchmal illegitime Mittel benutzt werden. Aber der palästinensische Widerstand ist legitim.
islam.de: Was müssen Muslime tun um die Diskriminierung ihnen gegenüber zu verringern? Was lief falsch in der Vergangenheit?
Ramadan: Wir müssen selbstkritischer werden. Welche islamische Erziehung bieten wir im Westen an? Leider imitierten wir die Art der islamischen Erziehung die wir in den Herkunftsländern haben und dies müssen wir zunächst überwinden. Verschiedene Lesarten existieren und wir müssen dies verstehen. Darüber hinaus müssen wir die uns umgebende Kultur integrieren als ein Teil unserer Identität – aber dies tun wir nicht...
islam.de: ...Wie zum Beispiel ?
Ramadan: Man schaue auf das, was wir einen "islamischen Buchhandel" nennen. Islamische Buchhandlungen mit Büchern, geschrieben von Muslimen, gelesen von Muslimen an Orten, wo nur Muslime sind. Wie soll man einen offenen Geist haben, wenn man symbolische Platzhalter hat, die nur trennen und verschließen? Ich bin dafür, dass solche Buchhandlungen Bücher über alles haben, offen, offen… Öffnet die Tür für die britische Literatur, die französische etc.
Hier ist so, nach fünf Generationen: Dies ist das Buch des Islam, fertig, stopp. Man fördert eine schizophrene Identität. Man lebt mit anderen, aber liest nur, was man lesen muss. Dies ist sehr gefährlich, also müssen wir kritischer sein mit unserer islamischen Erziehung. Dies bedeutet nicht, alles zu nehmen.
Wir haben auch ein Problem mit Kunst und Kreativität. Viele Leute denken, dies oder jenes sei islamisch verboten. Wir sind sehr einfach in der Art, wie wir islamische Kultur fördern. Wir wollen unsere Moral schützen, indem wir unseren Teenagern islamische Lieder geben. Wenn man sie hört, merkt man, dass sie für sehr junge Leute sind, vielleicht für Achtjährige. Das höre ich mir nicht an, wenn ich 18 oder 20 bin. Es geht ungefähr so: Ich bin Muslim, ich bin happy, dies ist schön, das ist gut, so genannte Anashid. Wenn man also eine einheimische Kultur haben will, sollte es etwas anspruchsvoller sein. Dies funktioniert nicht, indem man nur einige islamische Wörter wie Alhamdulillah" hinein bringt. Auf diesem Feld müssen wir ebenfalls kreativer werden.
Der letzte Punkt ist politische Bildung, ein Teil der Gesellschaft zu sein, Wissen über die Institutionen, die Kultur zu haben. Der beste Weg dieser Gesellschaft zu helfen ist etwas beizutragen für die Zukunft, den unterdrückten Menschen in der Welt zu helfen, wählen zu gehen, teilzuhaben und eine treibende Kraft zu werden. Dies geschieht nicht. Also sind wir sehr isoliert, sehr stark in der Defensive. Wir sollten aktiver sein. Dies wird in der Zukunft sein, aber wir haben bisher eine zu reaktive, zu emotionale Einstellung.
Zwei Dinge in unserer Mentalität müssen wir ändern, die Minderheiten-Zwangsvorstellung. Nein – ich komme mit einem Merheitsansatz. Ich will Gerechtigkeit, Gleichheit, dass die Menschen die Gesetze beanspruchen dürfen. Es ist kein Minderheitendiskurs, es ist ein Mehrheitsdiskurs. Nebenbei sei angemerkt: wenn man ein deutscher Staatsbürger ist, ist man Staatsbürger und kein Minderheiten-Staatsbürger". Ich bin Staatsbürger und das war's. Steck mich also nicht in die Minderheiten-Schublade. Ich bin Teil der Gesellschaft.
Der zweite Aspekt bezieht sich auf das Opferdenken. Sie mögen uns nicht, wir sind Opfer des Systems". Das interessiert mich nicht. Fordere deine Rechte ein! Niemand wird dir deine Rechte auf dem Tablett servieren und sagen, hier sind deine Rechte, nein. Kämpfe um deine Rechte. Wenn man denkt, man sei ein Opfer ändert man gar nichts. Es ist dasselbe, was man auch im amerikanischen System findet. Man beachtet eine Gemeinschaft nicht, solange die Machtzentren nicht angetastet werden. Sie behalten die Macht, du darfst den Raum teilen. Aber die Macht werden sie nicht teilen. In einem französischen Artikel schrieb ich: Die Gesellschaft muss lernen die Macht zu teilen, nicht nur Erinnerungen, all die guten Dinge", die Werte und Prinzipien. Wenn es zur Macht kommt, heißt es, dies ist unser". Ich denke, dass ist die wahre Diskussion. Wir müssen wissen, dass wir in der Zukunft alles teilen müssen.
islam.de: Sie repräsentieren eine liberale Position, stehen aber zu den islamischen Prinzipien. Ein Teil der Muslime ist noch immer sehr traditionell und sieht überall Feindbilder und Kriegszustand. Wie wollen Sie diese Leute überzeugen, wie sollen wir Muslime diskutieren?
Ramadan: Ich möchte sie nicht in einer Diskussion überzeugen. Ich denke, es liegt in der Sache. Wir können diesen Leuten sagen, die eine sehr einseitige und Schwarzweiß-Sichtweise haben, sie sollen sich anschauen, was passiert. Sie sollen sehen was funktioniert und was nicht. Die eigene Erfahrung lehrt was funktioniert und was nicht. Außerdem müssen wir den Leuten zeigen, dass es möglich ist ein Muslim zu bleiben und gleichzeitig in der Gesellschaft involviert zu sein.
Vor 5 Jahren, noch vor dem 11. September, ging ich zum ISNA-Kongress [Islamic Society of North America], es ist das große Treffen mit 40.000 Besuchern. Ich sprach über Staatsbürgerschaft, Sichtweisen teilen, Initiativen etc.. Nach sechs Minuten erhielt ich eine kleines Papier vom Moderator auf dem stand: Sie müssen zum Ende kommen". Nach sechs Minuten! Ich nahm mir zwölf Minuten. Mit mir auf dem Podium, war Hamsa Yousef, er hatte zu dieser Zeit ein sehr traditionelle Sichtweise die besagte, nimm nicht von der westlichen Kultur, es ist nicht deine. Er ist ein Konvertit, aber er kleidete sich wie ein Gelehrter aus dem Mittleren Osten. So sollte man nicht lehren, es ist fernab von der Gesellschaft wenn man sagt, dies ist nicht deine Kultur. Yousef sprach eineinhalb Stunden lang. Er fing an mit: Ja, Tariq Ramadan, das ist alles schön und gut. Denken Sie was Sie denken, aber das richtige ist….". Nach dem 11. September handelten 90% der Konferenz von Staatsbürgerschaft, amerikanischer Kultur und integriert zu sein...
islam.de: ...Warum?
Ramadan: Wegen dem 11. September und dem Druck auf die Muslime, die jetzt sagen: wir sind amerikanische Muslime. Wir sollten unsere Sichtweisen und Prinzipien teilen. Jetzt sagt Hamsa Yousef genau das, er zieht sich an wie wir. Alles hat sich geändert. Wie können wir uns verändern? Ereignisse können helfen, die Situation und die eigene Mentalität zu ändern. Jetzt teilen wir dieselbe Meinung, Gott sei Dank.
islam.de: Also hat der Terrorismus" auch das Denken der muslimischen Gemeinschaft geändert?
Ramadan: Ja, es hat sich geändert. Muslime werden nach ihrer Meinung gefragt. Sie müssen antworten. Einige sagen, sie denken es stecken keine Muslime hinter dies und jenem, es ist eine internationale Verschwörung. Nach einigen Vorfällen müssen sie aber Stellung beziehen und gestehen nun, dass sie selbstkritischer mit den radikalen Sichtweisen sein müssen. Sie müssen zugeben, dass es nicht der Islam ist. Und die Muslime begreifen, dass man nicht nur durch Reden die Wahrnehmung der Leute ändern kann.
Häufig trifft man Leute, die einem erzählen, dass man den Muslimen nicht glaubt, aber einem selbst glaubt. Man sei ja anders. Aber faktisch ist man wie die anderen Muslime. Der einzige Unterschied ist, dass er oder sie dich kennt, aber die da" nicht kennt. Es ist keine Frage von Wissen. Die Muslime erkennen jetzt die Tatsache an, dass wenn man keinen Kontakt mit den Menschen hat, auch nicht ihr Denken ändern kann. Man ändert nicht das Denken durch hohen Diskurs. Es geht darum wie man in der Gesellschaft integriert ist und hauptsächlich um nationale Themen.
Problematisch ist, dass die Muslime besessen sind von internationalen Problemen. Sie wollen den Palästinensern helfen, indem sie laut in die Straßen rufen. Das ist gut. Aber der beste Weg den unterdrückten Menschen in der Welt zu helfen ist aktiv Gesellschaft in der Gesellschaft zu sein und von den Regierungen Konsequenzen zu fordern. Nachdem was passiert ist wird sich die Mentalität der Muslime ändern. Sie müssen stärker integriert sein. Die etablierten muslimischen Organisationen und die Muslime sind Schritt für Schritt im Kommen.