Beide Lager, die im amerikanischen Orientalistenstreit aneinander prallen, haben irgendwie Recht: dasjenige, das dem anderen vorwirft, in romantischen Träumen über die islamische Welt gefangen deren Entwicklung hin zum Radikalismus verschlafen zu haben und 9/11 nicht einmal im Nachhinein befriedigend analysieren zu können. Und dasjenige, das dem anderen vorwirft, mit einer politischen Agenda im Hinterkopf die US-Regierung in die Irak-Intervention hineingehetzt zu haben, obwohl sie wissen hätten müssen, dass das schief geht.
Begonnen hat der Streit viel früher, wie 1978 “Orientalism” beweist: Edward Saids diskursanalytische Vernichtung der traditionellen Mitteloststudien als Fach, das mehr über die Beschreibenden als über das Beschriebene aussagt - wobei Said selbst alles andere als gefeit vor dem eigenen palästinensischen Furor war.
Laut Martin Kramers “Ivory Towers in Sand. The Failure of Middle Eastern Studies in America” hatte Saids Bestseller Katalysatorfunktion für eine Generation von orientalistischen Warmduschern, verkörpert in der Mesa (Middle East Studies Association), die von muslimischen Zivilgesellschaften und islamischer Reform schwafelte und in der oft ethnische Herkunft wichtiger war als Fachkenntnis.
Kramer, Herausgeber von Middle East Quarterly und Exdirektor des Moshe Dayan Centers in Tel Aviv, erklärt mit der Unbrauchbarkeit der Mesa, dass sich die US-Politik ihre Islam-Expertise aus Thinktanks holen muss (von denen einer, das Washington Institute for Near East Policy, sein Buch finanziert hat).
Die Fronten verlaufen aber natürlich nicht entlang ethnischer oder religiöser Linien, wie man an dem vom straff antiislamischen Middle-East-Forum-Chef Daniel Pipes gegründeten “Campus Watch” sehen kann, das echte und angebliche antisemitische Verstöße, aber auch einfache Sünden wider die neokonservative Weltsicht an US-Nahost-Instituten dokumentiert. Nicht nur die Bandbreite der an den Pranger Gestellten (so findet man etwa den Harvard-Historiker Joel Beinin, Harvard ist überhaupt ein rotes Tuch für Pipes), sondern auch der empfohlenen Professoren ist groß.
Lieblingsfeinde
Einen Lieblingsfeind hat “Campus Watch” momentan im in den USA sehr medienpräsenten Juan Cole, Universität Michigan, gefunden, der einen in der Tat oft polemischen Irak-Weblog führt. Ein anderer ist Rashid Khalidi (er hat den - terribile dictu - Edward-Said-Chair in Columbia inne), der die Frustration der Irakkriegsgegner in seinem jüngst erschienenen Buch auf den Punkt bringt: “Resurrecting Empire: Western Footprints and America’s Perilous Path in the Middle East”. Wobei sich aber das “e-word” auch langsam abnutzt.
Es geht natürlich auch immer wieder um die - von arabischen Nationalisten und politischen Islamisten ebenfalls gestellte - Frage: Ist die islamische Welt selbst schuld an ihrer Situation oder gibt es angesichts des westlichen Kolonialismus mildernde historische Umstände? Zu diesem Thema wird der Doyen der angelsächsischen Orientalistik, Bernard Lewis (“What went wrong”), in die Schlacht geworfen: Er wird auch oft jenen zugerechnet, die aus Gründen, die mit der israelischen Politik zu tun haben, letztlich als “Cheerleader” für den Irakkrieg fungierten.
Der Kulturwissenschafter Ian Buruma konzediert Lewis jüngst im New Yorkeraber auch “zu viel Liebe”. Die Enttäuschung darüber, dass sein geliebtes Objekt, der Orient, “krank” sei, habe in Lewis den Wunsch erzeugt, dass die größte westliche Demokratie, die USA, diesen heile.